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Das Spital-Magazin

Auf IN FORMA erfahren Sie Neues über das Spital Oberengadin sowie über die Entwicklungen im kantonalen und schweizerischen Gesundheitswesen. 
Die Webseite ist das Pendant zum gleichnamigen Magazin IN FORMA und bietet Interviews, Berichte sowie Hintergrundreportagen zum Spital Oberengadin.

 

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«Wir haben kein Patentrezept – jedes Kind ist einzigartig»

Elternberatung

«Wir haben kein Patentrezept – jedes Kind ist einzigartig»

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Die Elternberatung ist ein kostenloses, familienunterstützendes Angebot und die erste Anlaufstelle für Fragen der Frühförderung aller Art. Ziel ist es, den Kindern ab der Geburt bis zum Eintritt in den Kindergarten gute Bedingungen des Aufwachsens zu ermöglichen und die Eltern zu entlasten. 

 

Annemarie liegt ganz zufrieden in der Trage. Dies war zu Beginn ihres bisher kurzen Lebens nicht immer so. Sie hat schlecht getrunken und sich im Alter von ca. 14 Tagen häufig übergeben. Eine Milchunverträglichkeit wurde festgestellt und nun ist eine spezielle Milch für die Kleine notwendig. Eine Herausforderung für die jungen Eltern. «Der Alltag mit einem Säugling muss sich erst einstellen», erklärt ­Elternberaterin Judith Sem. In diesem Fall nicht ganz einfach, da die Eingewöhnungszeit durch die notwendig gewordenen medizinischen Abklärungen unterbrochen wurde – eine zusätzliche Belastung für die Eltern.

 

Im Oberengadin wurde im Juli 2020 die Elternberatung in die Stiftung Gesundheitsversorgung Oberengadin inte­griert. Für Judith Sem, seit 17 Jahren Elternberaterin, ein grosser Vorteil: «Dadurch sind wir am Puls des Geschehens und gut vernetzt mit dem Spital und der Frau-Mutter­-Kind-Abteilung mit ihren Akteuren.» So können sie den ersten Kontakt mit den Müttern der Neugeborenen bereits im Wochenbett herstellen. Eine erste Beratung folgt dann meistens nach dem Abschluss der ambulanten Wochenbettbetreuung und wird nach Bedarf regelmässig wiederholt. Judith Sem sitzt zusammen mit den Eltern der kleinen ­Annemarie am Tisch im Beratungszimmer der Elternbe­raterinnen im Alten Spital, welches direkt an das Spital Oberengadin angrenzt. Der Tagesablauf hat sich mittlerweile eingependelt und die Familie hat in ihren Rhythmus gefunden. Annemarie hat regelmässig Hunger und ent­wickelt sich prächtig. 

 

Anlässlich des Beratungstermins ­beobachtet die erfahrene Elternberaterin das Kind und den Umgang der Eltern mit dem Kind sehr genau. Bestandteil des Termins ist das Wiegen des Kindes. Dazu entkleidet die Mutter den Säugling und Judith Sem nutzt die Gelegenheit, einen Blick auf die Haut des Kindes zu werfen und die Bewegungen des Babys zu beobachten. Sie informiert die Eltern, dass Annemarie sich gut entwickelt und schön zugenommen hat. Dies zeigt Judith Sem den Eltern in der Wachstumskurve. Die Ergebnisse werden im Gesundheitsheft, welches für jedes Kind ab Geburt ausgefüllt wird, festgehalten. Dort tragen auch die Hebammen und die Kinder­ärztin die wichtigsten Daten ein. Ein weiterer Schwerpunkt der Beratung ist das Beantworten von Fragen, das Bestärken der Eltern in ihrer Aufgabe und das Informieren über die weiteren Entwicklungsschritte des Kindes.

 

Elternberatung: Kein neuer Trend

 

Die Mütter- und Väterberatung oder Elternberatung, wie sie seit einiger Zeit im Kanton Graubünden heisst, blickt auf eine über 100-jährige Geschichte zurück. Vom Wöchnerinnenverein, der sich um die wirtschaftliche Situation armer Mütter kümmerte bis hin zu den Säuglingsfürsorgerinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich um die ­gesundheitliche Situation von Neugeborenen kümmerten, ­entwickelte sich über die Jahre die Mütter- und Väterberatung. Im Mittelpunkt standen früher vor allem die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, die Früherkennung von Gesundheitsschäden und das Instruieren der Mütter in ihre neue Aufgabe.

 

Im Laufe der Zeit hat sich das Berufsbild der Elternberatung gewandelt. Die Elternberaterinnen absolvieren nach ihrer Grundausbildung im Gesundheitswesen, zum Beispiel als dipl. Pflegefachfrau, Sozialpädagogin, Hebamme oder Kleinkinderzieherin, die Nachdiplomausbildung zur Mütter- und Väterberatung. Das Angebot wurde bis zum 5. Geburtstag ausgeweitet, wodurch das Thema Erziehung ein zusätzlicher Schwerpunkt der Elternberatung ist.

 

Annemaries Mutter füllt während der Beratung einen ­Bogen zur Selbsteinschätzung aus. Ihr persönliches Befinden steht dabei im Vordergrund. So sollen eine postnatale Depression und eine etwaige Überforderung der Mutter frühzeitig erkannt werden. Der Mutter geht es besser als beim letzten Termin. Judith Sem muss sich im Moment ­keine grossen Sorgen um die Mutter machen, weiss aber, dass sich die Situation schnell ändern kann. Sie dokumentiert während des Gespräches die Entwicklung und die wichtigsten Punkte direkt in der elektronischen Kartei. Die Beratung ist nach ca. 45 Minuten zu Ende und Annemaries Familie verabschiedet sich. Sie werden in gut sechs Wochen den nächsten Termin zusammen wahrnehmen. 

 

 Judith Sem
Judith Sem

«Für mich ist es immer wieder schön, Kinder und Eltern von der Geburt an mehr oder weniger lang auf ihrem ­einzigartigen Weg begleiten zu dürfen, mit ihnen das Wachsen und Gedeihen des Kindes zu erleben und die erzielten Erfolge mit ihnen zu feiern.»

Eine neutrale Anlaufstelle

 

Neben den Beratungsgesprächen im Oberengadin sind Judith Sem und Tabea Schäfli auch regelmässig im Bergell und Puschlav unterwegs. Die meisten Eltern begrüssen die Beratung sehr und sind froh, Fragen stellen und auf das umfangreiche Wissen zurückgreifen zu können. Häufig sind die Themen Ernährung, Entwicklung und Verhalten der Kinder Gegenstand der Beratung. Viele Eltern sind unsicher, was es bedeutet, wenn das Kind schreit oder ob es genug trinkt.«Aber auch kleine Dinge, wie das Schneiden der Fingernägel oder die Dosierung von Vitamin D sind Anliegen der Eltern», sagt Judith Sem. Wegen der Informationsflut und den vielen Ratschlägen, die junge Mütter von verschiedenen Seiten erhalten, schätzen Eltern den neutralen Rat der Elternberaterinnen. Durch den gesellschaftlichen Wandel mit der Zunahme von Klein­familien, Alleiner­ziehenden und Patchworkfamilien sowie dem grossen Angebot von Aktivitäten mit Kindern fühlen sich Eltern, vor allem Mütter, oft alleine gelassen. Auch der Faktor Zeit spielt heute im Zusammenleben mit einem Kind eine andere Rolle. Die Mütter befinden sich in ­einem Spannungsfeld zwischen Rhythmus und Tempo des Kindes und den Ansprüchen, das Zeitmanagement für Partnerschaft, Familie, eigenen Interessen und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Keine einfache Aufgabe. Auch für Fragen in diesem Zusammenhang bieten die Beraterinnen Unterstützung.

 

In Zeiten der Coronapandemie ist eine Beratung häufig schwierig. Oft fanden telefonische Beratungen statt. Für Judith Sem ungewohnt und herausfordernd, da sie so die Entwicklung der Kinder nicht direkt beurteilen kann. Auch Hausbesuche bei Neugeborenen wurden zeitweise nicht angeboten. Nach den Lockerungen der Massnahmen ­werden die Eltern nun wieder vermehrt auf diese Möglichkeit hingewiesen und die Elternberaterinnen versuchen, bei den Neugeborenen einen Hausbesuch einzu­planen. Dabei geht es nicht um Kontrolle der Eltern, sondern darum, das persönliche Umfeld und die Gegebenheiten bei den Familien kennenzulernen. Dies fördert das Verständnis der Situation und ermöglicht es, besser auf den konkreten Fall eingehen zu können. «Was mich die Erfahrung gelehrt hat, ist, dass Elternberaterinnen kein Patentrezept haben – jedes Kind ist einzigartig», sagt Judith Sem.

 

Tabea Schäfli
Tabea Schäfli

Die Beratungen sind ...

  • kostenlos und vertraulich
  • für Mütter und Väter mit Kleinkindern bis fünf Jahre
  •  in verschiedensten Sprachen möglich. Bei Bedarf wird ein Dolmetscherdienst beigezogen.

Elternberatung Spital Oberengadin

T +41 81 851 85 58

elternberatung@spital.net