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Das Spital-Magazin

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«Ich bezeichne mich selbst gerne als HNO-Grundversorger»

Interview mit Dr. med. Daniel Fanconi

«Ich bezeichne mich selbst gerne als
HNO-Grundversorger»

Dr. med. Daniel Fanconi, Leitender Arzt der Hals-Nasen-Ohrenklinik im Spital Oberengadin, spricht im Interview über seinen Alltag als HNO-Spezialist in einer abgelegenen Region und über die Geruchs- und Geschmacksstörungen bei Covid-19.

 

Dr. med. Daniel Fanconi
Dr. med. Daniel Fanconi

Was sind die Herausforderungen eines Spezialisten in einer abgelegenen Region wie dem Engadin?

 

Besonders und auch toll ist, dass man fast alleine ist. Wir sind in Südbünden drei ORL-Fachärzte und haben ein Einzugs­gebiet von Castasegna bis Martina und von Poschiavo bis ­Bergün. Das ist flächenmässig ein einzigartig grosses Einzugsgebiet in der Schweiz. Ein Nachteil ist die ständige Abrufbarkeit: Während acht ­Monaten im Jahr habe ich Dienst, auch wenn es mich schluss­endlich nicht so häufig braucht, muss ich doch immer erreichbar sein. In einer Stadt kann man abends oder am Wochenende den Dienst dem Kantonsspital abgeben und man ist fein raus. Ein weiteres Problem ist die Nachfolge; jetzt, wo ich 62 Jahre alt bin, schaue ich mich langsam um, und es ist leider nicht so, dass zehn Fachärzte darauf warten, dass ich endlich in Pension gehe.

 

Merken Sie auch bei den Krankheitsbildern der Patientinnen und Patienten einen Unterschied zu einer HNO-Praxis in einer Stadt?

 

In der Peripherie hat man das ganze Spektrum von banalen Dingen bis zu wirklich komplexen Krankheiten. Es gefällt mir, dass ich fast die ganze Bandbreite selbst abdecken kann, während man Patienten in einer Stadt viel öfter an einen spezialisierteren Kollegen verweisen würde. Ein Problem, das sich in Zukunft jedoch verschärfen wird, sind die tiefen Fallzahlen in abgelegenen Regionen: Ich ­mache zwar alles, aber von allem nur wenig. Wenn die Universitäten und Versicherer nun minimale Fallzahlen vorschreiben, können alle kleinen Spitäler und Praxen schliessen.

 

«Die Patientinnen und Patienten nehmen für eine Besprechung Wege von bis zu zwei Stunden auf sich, was auch ein schönes Zeichen des Vertrauens ist.»

Im Engadin herrschen besondere klimatische Bedingungen, wie die trockene Luft. Merken Sie das bei Ihren Patienten?

 

Ja, auf jeden Fall, viele Leute haben aufgrund der trockenen Luft eine verstopfte Nase. Wenn ich sie dann Frage, ob sie am Meer auch eine verstopfte Nase haben, sagen die Leute in der Regel «Nein, am Meer geht es mir wunderbar». Durch die Heizung wird die Luft speziell im Winter trocken. Sonst denke ich aber, dass die Menschen hier oben allgemein gesünder sind als anderenorts. Das mag aber weniger mit dem Klima zu tun haben, als damit, dass sich die Leute bewegen, viel an die frische Luft gehen und sich gesund ernähren.

 

Was gefällt Ihnen am Arbeitsalltag zwischen Praxis und Spital?

 

Es ist genial. Auf der einen Seite bin ich selbständig in meiner Praxis und kann hier tun, was und wie es mir passt. In der Praxis habe ich die unternehmerische Freiheit, Dinge schnell zu entscheiden und zu realisieren. Wir sind ein kleines Team, das sehr flexibel ist. In einem Spital läuft diesbezüglich vieles träger ab. Ich geniesse jedoch auch die Arbeit im Spital sehr: das Operieren ist jeweils mein Highlight der Woche. Der Austausch mit den Kollegen im Spital Oberengadin ist toll, und wir haben ein sehr gutes Verhältnis mit der Anästhesie und dem ganzen OP-Personal, das ist wirklich eine schöne Abwechslung.

 

Bei den Covid-19-Symptomen sticht eines auffällig heraus: Der Verlust des Geschmacks- und Geruchssinnes. Was weiss man heute über diesen Aspekt der Corona-Erkrankung?

 

Laut Studien haben zwischen 50 und 60% der Covid-­Patienten eine Geruchsstörung, sprich eine Abschwächung oder einen Totalverlust des Geruchssinns. Nach zwei Monaten hat sich der Geruchssinn bei einem Fünftel der Patienten noch nicht wieder erholt. Was auch interessant ist, ist, dass das Virus anscheinend nicht nur den Geruchsnerv angreift, sondern auch die Geschmacksknospen auf der Zunge, wodurch effektiv eine Geschmacksstörung entsteht, was bei anderen Geruchs­störungen nicht der Fall ist. Man weiss auch, dass dieses Phänomen in asiatischen Ländern viel seltener aufgetreten ist, was darauf hindeutet, dass sich das Virus leicht mutiert hat.

 

In welchen Zusammenhängen kennt man den Verlust der Geruchs- und Geschmackssinne sonst noch?

 

Eine Professorin in Basel, die sich intensiv damit befasst, sagt, die Geruchsstörung bei Covid-19 unterscheide sich von anderen Geruchsstörungen bei Viruserkrankungen. Bei anderen Viruserkrankungen tritt der Verlust des Geruchssinns nur in 1-2% der Fälle auf und das nach einer Erkrankung mit Schnupfen. Bei Covid-19 ist die Nase jedoch häufig gar nicht verstopft und der Geruchssinn verschwindet schlagartig. 

 

«Die Forschung des Geruchsnervs ist fast nicht möglich, solange der Mensch am Leben ist, denn eine Gewebeprobe am gesunden Nerven würde dessen Untergang bedeuten.»

Wie können Wissenschaftler mehr über den Verlust dieser beiden Sinne herausfinden?

 

Die Forschung des Geruchsnervs ist fast nicht möglich, solange der Mensch am Leben ist, denn eine Gewebeprobe am gesunden Nerven würde dessen Untergang bedeuten. Dagegen ist das Problem bei verstorbenen Menschen das, dass diese zwangsläufig schwere Verläufe hatten und man sie häufig gar nicht befragen konnte, ob sie einen Geruchsverlust hatten oder nicht. Wenn jemand beatmet wird, interessiert es ihn herzlich wenig, ob er noch gut riechen kann. Befragen kann man eigentlich nur Überlebende und solche mit milden Symptomen. Vieles ist also noch offen.

 

Zur Person

Dr. med. Daniel Fanconi hat 1985 sein Studium der Humanmedizin an der Universität Bern ­ ­abgeschlossen. 1994 erlangte er den Facharzt­titel ORL (Oto-Rhino-Laryngologie) sowie 1996 die zusätzliche Ausbildung in der Hals- und Gesichts­chirurgie. Seit 1997 führt Daniel Fanconi eine eigene HNO-Praxis in St. Moritz und arbeitet seither auch im Spital Oberengadin, wo er die Hals-Nasen-Ohrenklinik leitet. Er wohnt in Celerina, ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.