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Das Spital-Magazin

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«Wenn viel läuft und ich ein Flow-Gefühl bekomme – das gefällt mir.»

Interview

«Wenn viel läuft und ich
ein Flow-Gefühl bekomme – das gefällt mir.»

Meta Thalmann leitet im Spital Oberengadin die ambulanten Dienste. Im Interview erzählt sie aus ihrem Alltag in der Notfallpflege und über die ambulanten Bereiche inklusiv Tagesklinik, die in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden.

 

Meta Thalmann
Meta Thalmann

Wie sind Sie dazu gekommen, auf dem Notfall zu arbeiten?

Ich habe ursprünglich in Frauenfeld die Ausbildung zur Pflegefachfrau absolviert, ein paar Jahre auf der medizinischen Klinik gearbeitet, und als ich eine neue Herausforderung gesucht habe, bin ich durch eine Laufbahnberatung auf die Idee des Notfalls gekommen. Im Stadtspital Triemli in Zürich absolvierte ich die zweijährige Notfallzusatzausbildung. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Schule gerade erst anerkannt, eine der ersten in der Schweiz. Die Notfallstationen und die Notfallpflege etabliert sich und wurde als eigenständige Fachabteilungen angesehen. 

 

Der ideale Zeitpunkt also, um im Notfallbusiness einzusteigen?

Einerseits war es sehr interessant, auf jeden Fall. Andererseits brachte dieser Aufschwung in der Notfallmedizin Herausforderungen mit sich. Immer mehr Patienten, mehr Schichten und viel Standpunktevertretungen für die Daseinsberechtigung der Notfallmedizin neben anderen Spezialgebieten wie z.B. IPS und Anästhesie. Irgendwann bin ich an meine Grenzen gekommen und habe eine halbjährige Auszeit genommen habe, um Neuseeland zu bereisen. Mit neuem Elan wieder zurück in der Schweiz, konnte ich neben der Arbeit auf dem Notfall, in meinem Elternhaus im Thurgau eine Fussreflexzonentherapie-Praxis aufbauen. Eine spannende Auseinandersetzung mit der Komplementär- und Schulmedizin. Ein paar Jahre später kam der Wunsch auf, in den Bergen zu leben. Da es hier in Samedan eine freie Stelle hatte, kam ich hierher und habe meine Praxis und meinen Job im Unterland aufgegeben. Nun fühle ich mich im Engadin sehr zuhause.

 

«Was mich immer berührt, ist, wenn jemand am ersten Ferientag einen Skiunfall hat, das ist dann wirklich blöd gelaufen. »

Was hat Sie an der Notfallpflege so gepackt?

In Frauenfeld auf der Bettenstation habe ich gemerkt, dass es mir persönlich sehr viel Energie raubt, wenn ich die Patienten und ihr Umfeld über lange Zeit begleite und dadurch gut kenne. Da habe ich in vielen Situationen stark mitgelitten. Auf dem Notfall ist es genau umgekehrt: Man muss im Moment reagieren, ohne dass man das Umfeld kennt. In diesen schnellen und oft überraschenden Kontakten fällt es mir von Natur aus leichter, mein Wissen, meine Erfahrung und meine ganze Energie reinzugeben.

Die Patienten auf dem Notfall sind immer in einer Ausnahmesituation. Wie geht man damit um?

Ein hoher Anteil der Notfälle sind sogenannte Bagatellen. Für die betroffene Person ist es natürlich immer eine grosse oder kleine Notsituation. Es ist aber nicht so, dass wir einen Fall nach dem anderen im Schockraum wiederbeleben müssen. Für die akuten Notfälle sammelt man Berufserfahrung. Die notfallspezifischen Aus-und Weiterbildungen sind dafür die Grundlage. Ich denke, man muss der Typ dafür sein.

Was ist die Herausforderung, mit kleinen wie grossen Notfällen umzugehen?

Man versucht immer zu verstehen, was eine Person bewegt, gerade jetzt auf den Notfall zu kommen. Manchmal kommt jemand mit Fingerschmerzen, es hat aber eine ganz andere Ursache. Da spielt auch meine Denkweise aus der Komplementärmedizin, mit dem ganzheitlichen Denken, eine wesentliche Rolle für das Verständnis. 

Eine grosse Herausforderung für die Gesundheitsversorgung der SGO in einem Hochtal, ist sicher für alle Notfälle, eben auch die schweren, gewappnet zu sein, 24h/365 Tage. Auch bei schlechtem Wetter, wo keine REGA fliegen kann. Kleines Regionalspital bei schönem Wetter – Zentrumsspital bei schlechtem Wetter.

Was gefällt Ihnen an der Arbeit auf dem Notfall am besten?

Wenn viel los ist auf der Notfallstation und die Zusammenarbeit einfach läuft, ich mich auf jeden Patienten einzeln einlassen kann, wir fachlich jedem Patienten die Behandlung zukommen lassen können, die ihm in seiner Notfallsituation zusteht – dann entsteht ein Flow-Gefühl, das mir sehr gefällt. Es gibt sehr viele schöne Begegnungen, und es bereichert mich zu sehen, wie Patienten und Angehörige mit der Situation umgehen. Wenn wir als Team jemandem das Leben retten können, ist das natürlich sehr befriedigend. 

Es gibt sehr viele schöne Begegnungen und es bereichert mich zu sehen, wie Patienten und Angehörige mit der Situation umgehen.

Gab es in Ihrer Laufbahn Fälle, die Sie geprägt haben?

In den fast zehn Jahren im Triemli habe ich so viele Drogen- und Alkoholpatienten gesehen, dass ich bei einem Patienten heute noch rasch einschätzen kann, welche Drogen er wahrscheinlich intus hat. Obwohl diese Fälle im Engadin sehr selten sind. Hier  sind es die vielen Sportunfälle, die einen prägen und einen gewissen Einfluss auf die eigenen sportlichen Tätigkeiten haben.

Gibt es nach so viel Jahren Erfahrung immer noch Fälle, bei denen Sie mitleiden?

Was mich immer berührt, ist, wenn jemand am ersten Ferientag einen Skiunfall hat, das ist dann wirklich blöd gelaufen. Oder jemand hat auf etwas trainiert und kann dann nicht teilnehmen. Schwere Fälle wie zum Beispiel nach Lawinenniedergängen oder Bergunfällen gehen natürlich nicht spurlos an einem vorbei. Aber das wird im Team professionell aufgearbeitet. Ich habe auf allen Notfällen erlebt, dass man einen guten Austausch pflegt, um solche Situationen zu verarbeiten.

Nun sind Sie auch 60 Prozent im Büro tätig, als Leiterin der ambulanten Dienste. 

Ja, ich übe mich noch in der Routine (lacht). Nach fast 30 Jahren Schichtarbeit eine Herausforderung. Ich mache diesen Teil meines Jobs auch sehr gerne, aber ich muss mich noch daran gewöhnen, plötzlich zu Bürozeiten zu arbeiten. In der Hochsaison arbeite ich mehr auf dem Notfall, und es gefällt mir nach wie vor sehr gut, direkt am Patienten zu arbeiten. 

Welche neuen Aufgaben sind für Sie dazugekommen?

Ich leite nun sieben Kleinteams, die alle spezialisiert sind, deshalb musste ich mich viel in die Gebiete einlesen und einarbeiten. In meiner neuen Tätigkeit als Geschäftsleitungsmitglied setze ich mich ebenfalls mit vielen mit neuen Themen auseinander. Die Vielseitigkeit an diesem Teil meiner Arbeit gefällt mir, und es fordert mich heraus für alle Bereiche individuelle Lösungen finden.

Die Tageskliniken werden wichtiger, da heute mehr ambulant gemacht wird. Was hat das für den Patienten für Vor- und Nachteile?

Der ambulante Patient von heute möchte eine Untersuchung oder Behandlung, die in seinen Tages- oder Arbeitsplan passt. Einen klar terminierten Patientenprozess, der so viel wie nötig aber so wenig Zeit wie möglich in Anspruch nimmt. Wir haben, z.B. von der neuen Tagesklinik, von Patienten durchwegs positive Rückmeldungen bekommen, dass sie selbst in den OP laufen und dann auch schnell wieder nach Hause können. Die Kliniken sind daher gefordert, sich zu überlegen welche Narkose, Behandlung und Therapie für ambulante Abläufe Sinn machen. Man muss aus den alten Mustern herauskommen, diese überdenken und anpassen. Ich finde, das tut den verschiedenen Fachdisziplinen gut. 

Was sind im Notfall und bei den ambulanten Diensten die Herausforderungen in den nächsten zehn Jahren?

Die ambulanten Dienste werden immer mehr Fuss fassen, aber die Fachkompetenz und Qualität der Versorgung darf darunter nicht leiden. Und die Finanzierungssysteme für ambulante Fälle müssen überarbeitet werden. Das Thema wird bisher stiefmütterlich behandelt. In der Notfallmedizin gibt es noch keine schweizweit anerkannten Notfallstationen. Eine gewisse Vereinheitlichung, inklusive Selbstverständlichkeit eines Facharztes Notfallmedizin auf jeder Notfallstation, ist meiner Meinung nach zwingend. Die Fortschritte in der Notfallmedizin sind sichtbar, aber der laufende Entwicklungsprozess wird noch etwas Zeit in Anspruch nehmen.

 

Was machen Sie in Ihrer Freizeit, um von allem abzuschalten?

Ich lese sehr gerne und bin im Winter wie im Sommer sehr gerne in der Natur und den Bergen unterwegs. Reisen, andere Kulturen geben mir sehr viel Energie, ich habe nie aufgehört, neugierig auf die Welt zu sein. Seit einigen Jahren beschäftige ich mit Focusing. Dabei geht es darum, zwischen dem inneren Erleben und der konkreten Situation aussen, Raum zu geben. Einen sogenannten «Felt Sens» in einer Situation entstehen zu lassen. Das ist für mich zu einer Lebensphilosophie geworden.