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DICH BETREUEN – MICH BEACHTEN

Dr. phil. Bettina Ugolini

DICH BETREUEN – MICH BEACHTEN

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Im Gespräch mit Dr. phil. Ugolini

Betreuende und
pflegende Angehörige

Sommer 2019
Bettina Ugolini ist diplomierte Pflegefachfrau und Diplompsychologin. Seit 2002 leitet sie am Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich die psychologische Beratungsstelle LiA, Leben im Alter. Ausserdem ist sie in verschiedenen Fort- und Weiterbildungen innerhalb und ausserhalb der Universität als Dozentin tätig. Sie ist Autorin der Bücher «Ich kann doch nicht immer für Dich da sein» und «Wegweiser Alter». Sie verfasste zusammen mit Christoph Held das Kapitel «Mit Angehörigen von Demenzkranken über dissoziatives Geschehen sprechen».

Das Thema «Angehörige» beschäftigt Bettina Ugolini seit Beginn ihrer Berufstätigkeit, zunächst als Pflegefachfrau in verschiedenen Funktionen, später als Gerontopsychologin. Im Vorfeld zu ihrem Vortrag im Pflegeheim Promulins sprachen wir mit der ausgewiesenen Spezialistin über betreuende und pflegende Angehörige.

 

Frau Doktor Ugolini, Ihnen liegen die Themen Leben im Alter und pflegende Angehörige besonders am Herzen. Wie kommt das?

Ich hatte eine sehr enge Beziehung zu meinen Grosseltern. Auch in meinem ersten Beruf als Pflegefachfrau wurde ich oft mit alten Patienten und ihren besonderen Ansprüchen und Problemen konfrontiert. Ich entschied mich daher bereits recht früh während meines Psychologiestudiums zu einer Spezialisierung in der Gerontopsychologie.
Die betreuenden und pflegenden Angehörigen sind mir ein besonderes Anliegen, da sie in unserer Gesellschaft einen wichtigen und unbezahlbaren Beitrag leisten, der oft übersehen und kaum gebührend geschätzt wird.

 

Waren oder sind Sie selbst pflegende Angehörige? Wenn ja, welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Aufgrund meiner Ausbildung war ich in meiner Engeren aber auch erweiterten Familie immer wieder pflegende Angehörige, allerdings eher bei akuten Erkrankungen über einen absehbaren Zeitraum. Heute bin ich als Tochter eine betreuende Angehörige aus der Ferne. Meine Eltern kommen auch in die Jahre, und ich unterstütze sie von hier aus und durch regelmässige Besuche, wo und wie es immer möglich ist.

 

Woran liegt es, dass die Situation pflegender Angehöriger unterschätzt wird?

Das ist sehr schwer zu beurteilen ... ich kann mir aber vorstellen, dass die Betreuung eines Familienmitglieds in unserer Gesellschaft als selbstverständlich angesehen wird. Als gute Ehefrau oder Tochter oder Sohn macht man das einfach. Zum anderen kann man sich als Aussenstehende kaum vorstellen, was sich alles hinter der Bezeichnung pflegende Angehörige verbirgt. Welche Aufgaben, welche Einschränkungen und Entbehrungen, welche Ängste oder Verluste …

 

Welches sind die besonderen Herausforderungen für pflegende Angehörige?

Je nach Pflegesituationen unterscheiden sich die Herausforderungen. Dazu gehören die Übernahme der Pflege, die emotionale Unterstützung, der Umgang mit den Beziehungsveränderungen, manchmal auch die Persönlichkeitsveränderungen des Erkrankten. Jede Pflegegeschichte ist anders und birgt ganz spezielle Herausforderungen.

 

 

Die betreuenden und pflegenden Angehörigen sind mir ein besonderes Anliegen, da sie in unserer Gesellschaft einen wichtigen und unbezahlbaren Beitrag leisten, der oft übersehen und kaum gebührend geschätzt wird.

Jede Pflegegeschichte ist anders und birgt ganz spezielle Herausforderungen.

Als Leiterin der Beratungsstelle «Leben im Alter» haben Sie täglich mit ratsuchenden Angehörigen zu tun. Was macht pflegenden Töchtern und Söhnen das Leben schwer?

Viele verzweifeln, weil der demente Vater nicht realisiert, dass er krank ist und Hilfe braucht. Da fragt dann der Sohn, wie viel Druck er anwenden darf oder gar muss. Ein zweites grosses Problem liegt in der Geschwisterrivalität begründet. In der Regel leisten nicht alle Töchter und Söhne gleich viel Hilfe. Mit der Zeit kann dieses Ungleichgewicht viel Unmut, Frustration und schlimmere Gefühle auslösen. Belastend an der Demenz eines nahestehenden Menschen ist auch die eigene Ohnmacht: Ich kann es nicht verhindern, dass meine Mutter langsam im Nebel verschwindet und sich ihre einstige Persönlichkeit mehr und mehr auflöst. Damit sind schmerzhafte Prozesse des Abschiednehmens verbunden, die sich über Jahre hinziehen können. Schliesslich dauert eine Demenzerkrankung von der Diagnose bis zum Tod durchschnittlich acht bis zehn Jahre.

 

Welche Tipps haben Sie für pflegende Angehörige?

Sie sollten die eigenen Belastungsgrenzen immer im Auge behalten, Hilfe annehmen und frühzeitig lernen, stets auch für sich selbst zu sorgen. Ich empfehle auch, sich frühzeitig Hilfe zu holen. Am besten gleichzeitig mit der Diagnose. Aber wenigstens sollten sie sich informieren, welche Hilfsangebote es gibt, die sie bei Bedarf beiziehen können.

 

 

Welches sind die Vorteile und Nachteile, wenn Angehörige im Alter pflegen?

Angehörige kennen den Pflegebedürftigen besonders gut, und es tut oftmals gut, eine vertraute Person um sich zu haben. Manchmal aber leidet die Beziehung unter der Belastung, die oft immer grösser wird und die betreuenden Angehörigen werden am Schluss nicht selten selbst krank. Prekär wird es, wenn die Kranken sogenannt herausforderndes Verhalten zeigen wie hohe Aggressivität, verbunden mit lautem Rufen, aber auch einen kaum zu bremsenden Bewegungsdrang, der dazu führt, dass sie beispielsweise nachts die Wohnung verlassen. Solche Umstände können die Angehörigen schnell überfordern. Man weiss aus Untersuchungen, dass vor allem Frauen Mühe haben, sich abzugrenzen und der eigenen Gesundheit Sorge zu tragen. Hier leidet natürlich auch die Betreuungsqualität. Die Einweisung in ein Heim ist dann mit Sicherheit die bessere Alternative, weil hier eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung gewährleistet wird. Schuldgefühle sind auf jeden Fall fehl am Platz.

 

Wie funktioniert die Zusammenarbeit von Pflegepersonal und pflegenden Angehörigen?

In jeder Institution und auch im ambulanten Bereich, besteht irgendeine Form der Zusammenarbeit. Allerdings herrscht oftmals ein Nebeneinander statt ein Miteinander und Vieles wird dem Zufall überlassen. Hier gibt es auf jeden Fall noch Verbesserungspotential.

 

Gibt es bei Patienten, die von Angehörigen gepflegt werden Unterschiede zu denen, die vom Pflegepersonal betreut werden?

Ich gehe nicht davon aus, dass es in diesen Fällen Mängel in der Betreuung gibt, aber bestimmt mehr Einsamkeit und weniger Anteilnahme am Leben. Es gibt dann niemanden, mit dem man seine Biografie teilen kann ...